Über digitale Demagogie und was wir als Marketers daraus lernen können

Two Truths

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Jede empfundene Wahrheit entsteht im Auge und Kopf des Betrachters. Sie bildet sich zwischen den Ohren. Dorthin, wo auch Marketing zielt. Und daher überwog am Ende der Überlegungen die Neugier darauf, was die Marketingcommunity aus diesen teilweise großen und erstaunlich stabilen Erscheinungen der heutigen Zeit lernen kann. Und was sie aus meiner Sicht lernen muss.

 

Framing in Perfektion

Jede Information, jede Nachricht, jedes Ereignis und jede Marketingbotschaft wird konsequent durch das Deutungsraster gefiltert. So ist es bei Trumps Wahlniederlagen-Verblendung die Mär vom Betrug, von den „illegal votes“. Ist das Framing einmal gesetzt, wird es nicht in Frage gestellt. Mit jeder neuen Aktion wird Bezug genommen auf das Deutungsraster. Es ist so etwas wie der Kampagnenkern. Um ihn herum entfaltet sich die Vielzahl der Botschaften.

Multichannel wird zu Monochannel

Wir sprechen gerne von Omnichannel oder zumindest Multichannel-Zeiten und beraten Unternehmen im Ausspielen ihrer Contents und Botschaften auf möglichst vielen Kanälen, um eine möglichst breite Wahrnehmung zu erzeugen. Die Besonderheit der in sich stabilen Bubbles mit „eigener“ Wahrheit ist, dass sie es schaffen, in einem Kanal – Twitter oder Telegram beispielsweise – ihre Communities zu binden. Sie benötigen kein Senden auf mehreren Kanälen, weil die Zuhörer ihnen in ihren Kanal folgen. Purer Magnetismus.

Perfekt platzierte „Produkte“

Es ist der perfekte Zeitpunkt für Antibotschaften: Die Zeit der großen Unsicherheit. Gegenbotschaften, die vermeintlich einfache Erklärungsmuster liefern, sind das perfekte Produkt zur perfekten Zeit. Denn in unsicheren Zeiten lebt es sich komplizierter, angstvoller und unplanbarer. Die Lust auf einfache Erklärungen wächst. Und die Neigung zur Realitätsverblendung aus Sehnsucht nach der Normalität vergangenen Tage nimmt zu. Pandemie-Leugner setzen ihre Produkte hier perfekt platziert ein und bedienen die Nachfrage unmittelbar. Das ist Customer-Centricity at it’s best.

Frequenz und Interaktion

Hohe Frequenz – bis zu 30fach täglich twitterte Trump – und auch die Aktivitätenniveaus der Hildmanns und Querdenken-Agitatoren sind nicht geringer – bindet die jeweiligen Communities. Doch nicht nur die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen, bindet die Fans. Es ist auch die Energie, die in die Interaktion mit Kunden gesteckt wird. Das Gefühl der Kunden, ernst genommen zu werden und bei etwas Wichtigem dabei zu sein – aktiv und geachtet – bildet den emotionalen Nährboden für die Bindung in den Bubbles. Es ist eine 1-zu-1 auf die Kommunikation von relevanten Marken übertragbare Logik: Mehr Energie in der Kundeninteraktion wird mit mehr Kundenbindung belohnt.

 

Die Gründe für den „Erfolg“ von digitaler Demagogie sind das konsequente und intensive Ausnutzen bekannter Marketingstrategien. „Two Truths“ konnten sich bilden, weil auf der Klaviatur der digitalen Medien mit mehr Energie und mehr Interaktionsbereitschaft gespielt wurde. Und das ist auch gleichzeitig die gute Nachricht für Alle, die diese Trends zurückdrehen wollen: Mit der gleichen Energie, mit der gleichen Interaktionsbereitschaft und einer hohen Frequenz muss auch die andere Wahrheit vertreten werden, damit sie eine gleichwertig wahrnehmbare Alternative bleiben kann.

An uns Marketers richte ich die Bitte, sich einzumischen. Mit unserem Wissen um mediale Mechanismen sollten wir jede Gelegenheit ergreifen, uns in den Diskurs einzubringen und für eine differenzierte Sicht werben. Eine stabile Gesellschaft braucht den Diskurs vor dem Kompromiss. Und sie braucht ein Einmischen in die Meinungs-Bubbles, in denen dieser Diskurs noch nicht angekommen ist und man eben nur die „eine“ als die einzige Wahrheit annimmt.

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